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Bärglerkindheit im Vispertal Wallis

Bärge, Sunne, Roggebrot, Milchkaffee + Gottesdienst

Aufwachsen zwischen 1950 und 1970 auf 1100 M ü M. war verglichen zu den Geschichten von früher schon recht viel einfacher. Beide Elternteile hatten viele Geschwister und bei beiden Elternteilen verstarben ihre Väter schon um die 30 Jahre alt, was bedeutete, dass die Mütter mit Hilfe von Tanten die Kinder grosszogen und für deren Ernährung besorgt waren. Jeden Tag ging man zum Gottesdienst, meistens mit vorher einer halben Stunde Rosenkranz beten in der Kirche für die Verstorbenen. Dies zog sich auch noch durch meine Kindheit durch. Ich wurde im Hochsommer 1954 als zweites Mädchen von 5 Mädchen geboren.

Meine Mutter wuchs in einem sehr abgelegenen Weiler auf, hatte einen gut einstündigen strengen Fussmarsch zur Kirche und Schule ins Dorf zu bewältigen. Sie kam nie aus dem Dorf weg. Mein Vater arbeitet kurze Zeit in Zürich. Es prägte ihn; an Interesse am Weltgeschehen und einer grossen Wissbegierigkeit. Diese behielt er sein Leben lang. Beide Elternteile mussten neben der Messe und Schule sehr hart arbeiten. Alle Familien versorgten sich selber. Das heisst, man hat ein Schwein pro Jahr als Fleischernährung und eine Ziege als Milchlieferant. Die reicheren und damit vornehmeren Familien hatten mehr als ein Schwein und 1 bis mehrere Kühe oder mehrere Ziegen. Anzahl Kühe machten den Landbesitz und damit den Besitzstand der jeweiligen Familie aus. Meine Mutter fragte meinen Vater ob er sie heirate. Er war einverstanden und so heiratet man in der Tracht, da man ansonsten nur Werkkleider hatte.

Wir Kinder kamen, zuerst alle 2 Jahre eins nach dem Anderen, dann wurden die Abstände grösser. Das jüngste gebar meine Mama mit gut 40 Jahren. Anfangs der 50iger Jahre wurde eine Seilbahn gebaut, was einiges erleichterte, vor allem die Arbeitswege der Männer, die im Tal in der Fabrik arbeiteten, wie es auch mein Vater tat. Auch in diesem Zeitraum baute mein Vater zusammen mit seinem Bruder ein Zweifamilienhaus in das wir nach Mitte der 50iger Jahre einzogen. Papa kam abends nach der Fabrikarbeit nach Hause ass Nachtessen und ging dann in seiner Schreinerwerkstatt unten im Haus und schreinerte alle unsere Möbel selbst oder flickte auch für die Leute im Dorf vor allem das Werkzeug.

Die Frauen und Kinder besorgten die Selbstversorgung und die ganze Landwirtschaft, Garten- und Hausarbeit. Maschinen gab es keine und eine Strasse auch nicht. Der Tenor im Ablauf war täglich: Kirche, Schule, Schaffen. Auch die so früh verwitweten Grossmütter arbeiteten noch bis ins hohe Alter und beteten bis sie starben. Es wurde alles auf dem Rücken oder Kopf getragen. Das Kind welches am Meisten stemmen konnte wurde mächtig angespornt und gerühmt.  Das soziale Gefüge funktionierte: Jeder half jedem bis das letzte Heu in der Scheune war, z. B. wenn sich ein Gewitter ankündigte. Die Kontrolle und Solidarität war gross und man wurde so auch von den Dorfbewohnern miterzogen. Fernsehen gab es keinen, am Abend hörten wir liebend gerne den Geschichten der Eltern und Grossmüttern zu, zum Teil über mehrere Generationen zurück. Oder wir sassen am Küchentisch und beteten bei Unwetter, dass wir vor einem Bergstutz bewahrt werden. Der Hang oberhalb unseres Hauses galt als unstabil.

Mit neun Jahren hatte ich meine erste Arbeitsstelle über den Sommer bei Bauersleuten, gegen Speck und Käse für die Familie. Wir hatten noch mehr als drei Monate Ferien um zu Arbeiten. Im darauffolgenden Sommer kam ich zu 2 Schwestern auf deren ihren Bauernbetrieb. Das Vieh war im Sommer in einem abgelegenen Weiler. Dort ging eine der Frauen mit mir am Abend hin, wir holten die Kühe in den Stall, melkten sie, schliefen im Heu und am anderen Morgen melkten wir wieder, ich brachte in einem 40 Minuten Marsch die Milch auf dem Rücken tragend in die Dorfsennerei und die Frau besorgte noch den Stall, liess die Kühe wieder auf die Weide und kam danach zurück ins Dorf. Dort ging die Arbeit weiter mit mähen, heuen, Garten und Haushalt besorgen, etc… Die Arbeit ging nie aus. Einzig am Sonntagnachmittag durften wir oft auf dem Dorfplatz Völkerball spielen und im Winter mit den von meinem Vater gezimmerten Skiern uns im Schnee vergnügen.

Sisy/ A-L. Hofmann-Furrer Derendingen